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Wer zahlt Wege- und Rüstzeiten?
Was als Arbeitszeit gilt und wofür euer Arbeitgeber bezahlt
Nicht nur Interessenvertretungen, sondern auch Arbeitsgerichte beschäftigen sich mit Wege- und Rüstzeiten. Wir erklären euch, was als Arbeitszeit anerkannt und somit vom Arbeitgeber bezahlt wird und wofür ihr selbst aufkommen müsst.
Erstmal ganz von vorne: Worüber sprechen wir hier eigentlich, was genau sind Wege- und Rüstzeiten?
- Rüstzeit ist die Zeit, die Auszubildende und Arbeitnehmer_innen benötigen, um ihre Arbeitskleidung anzulegen.
- Unter Wegezeiten fallen alle Zeiten für die Wege der Auszubildenden und Beschäftigten zwischen Umkleide und Arbeits- bzw. Einsatzort.
Wann zahlt der Arbeitgeber?
In den folgenden Fällen gehören Rüstzeiten zur Arbeitszeit und müssen entsprechend vergütet werden:
- wenn das Tragen einer speziellen Dienstkleidung während der Arbeitszeit vorgeschrieben, die private Nutzung dieser Kleidungsstücke hingegen ausgeschlossen ist (BAG, Urteil v. 19.09.2012, Az.: 5 AZR 678/11)
- wenn der Arbeitgeber eine klare Weisung ausgesprochen hat, wonach Arbeitnehmer_innen eine bestimmte Kleidung tragen und sich dafür im Betrieb umziehen sollen (BAG, Urteil v. 19.9. 2012 AZR 678/11)
- wenn eine private Nutzung der Bekleidung ausgeschlossen ist, beispielsweise durch eine Dienst- oder Betriebsvereinbarung
Wegezeiten bekommt ihr vergütet, wenn die Arbeit mit dem Umkleiden beginnt und endet. Dann „zählen die innerbetrieblichen Wege zur Arbeitszeit, die dadurch veranlasst sind, dass der Arbeitgeber das Umkleiden nicht am Arbeitsplatz ermöglicht, sondern dafür eine getrennte Umkleidestelle bereithält, die der Arbeitnehmer zwingend benutzen muss.“ (BAG , Urteil v. 19.09.2012, 5 AZR 678/11, ZTR, 2013, 79)
Was zählt als „Privatvergnügen“?
Manche Sachverhalte führen dazu, dass es auf den Einzelfall ankommt bzw. definitiv keine zusätzliche Arbeitszeit vergütet wird:
- Wenn die Arbeitskleidung mit nach Hause genommen werden darf (typische Beispiele sind Berufe wie Verkäufer_in oder Busfahrer_in), wird keine Umkleidezeit vergütet, denn diese Personengruppen könnten bereits zu Hause ihre Arbeitskleidung anlegen. (LAG Urteil v. 25.09.12, Mecklenburg-Vorpommern/ Az. 5 Sa 275/11)
- Haarig wird es bei Körperhygiene, denn dazu gab es bisher kein höchstrichterliches Urteil. Falls keine besondere Verschmutzung vom Arbeitsplatz ausgeht, gelten Dinge wie Duschen oder Waschen prinzipiell als höchstpersönliche Angelegenheit. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel: So kann regelmäßiges Händewaschen und -desinfizieren zwingend erforderlich sein, wenn es z.B. um das Wohl von Patient_innen geht – dann gehören solche Reinigungsmaßnahmen zur Arbeitszeit und werden vergütet.
Im Vorteil mit betrieblichen Regelungen!
Sowohl Wege- als auch Rüstzeiten lassen sich betrieblich durch eine Dienst- oder Betriebsvereinbarung festlegen. Das schafft nicht nur Klarheit, sondern ggf. auch eine Verbesserung zur gesetzlichen Regelung.
Als Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) solltet ihr euch also als Erstes beim Betriebs- oder Personalrat erkundigen, ob bei euch so eine betriebliche Regelung existiert. Und falls nicht? Solltet ihr klären, wie ihr diese durchsetzen könnt!
Hier ein paar Tipps dazu:
- Der Betriebs- bzw. Personalrat hat nach §87 Abs. 2 (BetrVG) bzw. §75 Abs. 3 Nr. 2 (BPersVG) ein Mitbestimmungsrecht zum Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit. Außerdem ist auch die Anordnung des Arbeitgebers, Dienstkleidung zu tragen, mitbestimmungspflichtig. Das ergibt sich aus § 87 Absatz 1 Nr. 1 BetrVG bzw. §75 Abs. 3 Nr. 16 (BPersVG) und der Betriebsrat sollte dieses Recht einfordern.
- Als JAV könnt ihr nicht allein an die Sache rangehen, sondern müsst euch Unterstützung vom Betriebs- oder Personalrat holen. Erste Option: Druck auf den Arbeitgeber ausüben – durch bestehende Rechtsprechungen kann der Betrieb dazu gezwungen sein, eine entsprechende Regelung umzusetzen (zum Beispiel durch eine Betriebs- oder Dienstvereinbarung).
- Unterstützt eure Forderungen durch betriebliche Aktionen und holt dazu möglichst viele Auszubildende und Beschäftigte mit ins Boot! Wenn alle vom gemeinsamen Ziel einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung überzeugt sind, steigen die Motivation und Beteiligung an gemeinsamen Aktionen ganz von allein.
Aufmerksamkeit schaffen!
Bei gemeinsamen Aktionen sind eurer Kreativität kaum Grenzen gesetzt. Hier ein paar sehr effektive Ansätze, um eure Forderungen in den Fokus zu rücken:
- Alle Auszubildenden gehen gemeinsam zum Betriebsrat, um sich „offiziell“ zur Übernahmesituation zu informieren. Das kann wie ein Streik aussehen, ist aber durch das Betriebsverfassungsgesetz abgedeckt – auch wenn sich der Betriebsrat gerade „zufällig“ in Verhandlungen mit dem Arbeitgeber befindet.
- Unterhaltet euch vor dem Betrieb mit anderen Auszubildenden und Beschäftigten, fragt nach ihrer Meinung zum Thema und sensibilisiert sie für die Situation durch passende Flyer, die sie nochmal in Ruhe lesen oder ihren Kolleg_innen zeigen können.
- Hinterlasst kurze und knackige Botschaften vor und im Betrieb, beispielsweise Post-its mit der Aufschrift „Umkleidezeit ist Arbeitszeit“ oder Plakate „Waschen gehört zur Arbeitszeit“ (am besten in WCs und Duschen). Eure Forderungen könnt ihr auch auf Luftballons schreiben, die Ballons mit Helium befüllen und im Betrieb verteilen. Oder ihr verwendet Sprühkreide und schreibt damit auf den Boden vor dem Betriebseingang.
Verstärkung anfordern!
Unterstützung für euer Anliegen bekommt ihr auch außerhalb des Betriebs. Ebenso wie nach innen ist dafür eine wirksame Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit notwendig. Je deutlicher ihr eure Forderung thematisiert, desto schwerer kann der Arbeitgeber sie ablehnen.
Übrigens: Im und vor dem Betrieb erreicht ihr eure Zielgruppe am besten – denn der Arbeitsplatz ist schließlich das Feld der Auseinandersetzungen.
Bei der Planung von Aktionen – vor allem, wenn die Botschaft auch in die Öffentlichkeit getragen werden soll – agiert ihr am besten gemeinsam mit der ver.di Jugend. Als starke Organisation stehen wir allen JAVen bei der Planung und Durchführung von Aktionen mit tatkräftiger Unterstützung, Know-how und viel hilfreichem Material zur Seite!
Ihr braucht Unterstützung oder weitere Infos? Eure ganz individuelle Aktion im Betrieb könnt ihr auch mit euren Jugensekretär_innen vor Ort planen! Über uns findet ihr außerdem viele Angebote, um euch mit anderen JAVen zu vernetzen, auszutauschen und gegenseitig von euren Erfahrung zu profitieren.
Wir wünschen euch viel Erfolg auf dem Weg zu einer besseren Ausbildungssituation in eurem Betrieb oder eurer Dienststelle!